Rezension im Deutschland Archiv 6/2001, pp. 1066
(mit freundlicher Genehmigung von Redaktion und Autor):

Ideologie und Terror

Karl Wilhelm Fricke:

Köln Konrad Löw: Das Rotbuch der kommunistischen Ideologie. Marx & Engels - Die Väter des Terrors. Mit einem Vorwort von Stéphane Courtois. Langen Miiller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1999, 336 Seiten, 49,90 DM.

Es gibt Bücher von bleibender Aktualität. Das Rotbuch der kommunistischen Ideologie von Konrad Löw zählt dazu. Seine Rezension zwei Jahre nach seinem Erscheinen - die Verspätung ist dem Rezensenten anzutasten - rechtfertigt sich eben dadurch, dass die vom Autor abgehandelte Problematik der ideologischen Wurzeln von Gewalt und Terror in kommunistischen Diktaturen bis heute ungemindert aktuell geblieben ist.

Allerdings ist dieser Umstand nicht zuletzt auf jene desparaten Versuche der »extremen Linken« zurückzuführen, wie Stéphane Courtois im Vorwort schreibt, »die kommunistischen Verbrechen hinter der (angeblichen) Reinheit des marxistischen Ideals zu verstecken«, beseelt von dem Willen,  »die kommunistische Tragödie des 20. Jahrhunderts hinter sich zu lassen und für das 21. Jahrhundert einen mutierten Kommunismus wiederzubeleben, der erneut auf Marx aufbaut.«

Nicht zufällig hat Courtois ein Vorwort zu Löws Buch verfasst. Als Mitherausgeber und Ko-Autor hat er Das Schwarzbuch des Kommunismus, das ursprünglich 1997 in Frankreich und im Folgejahr in Deutschland erschien, maßgeblich mitgeschaffen. Daran wollte Löw mit seiner Abhandlung bewusst anknüpfen, »um hier an die Stelle der Fakten Urkunden, das heißt, Originalzitate, treten« zu lassen. Auch lag es da nahe, sein Buch als Rotbuch der kommunistischen Ideologie zu charakterisieren. Der Autor, von 1975 bis 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft an der Universität Bayreuth, ist davon überzeugt und will davon überzeugen, dass Gewalt und Terror in kommunistischen Herrschaftssystemen ideologisch bedingt, mithin aus der Ideologie heraus zu begreifen sind, ja, als ideologisches Postulat geradezu konstituiert werden. Aus diesem Grunde sieht Löw auch Lenin und Stalin in der Kontinuität zu Marx und Engels, die er, schon im Untertitel seines Buches, rundheraus als »die Väter des Terrors« brandmarkt. Für bekennende Marxisten sind das unerträgliche Thesen, aber der Autor weiß, worüber er schreibt, er macht es sich nicht leicht mit seiner Beweisführung. Seine Argumentation stützt sich auf profunde Kenntnisse des vielbändigen Gesamtwerkes von Marx und Engels. Das vorliegende Buch gliedert sich in vier Teile von höchst unterschiedlicher Länge. Im ersten, äußerst knapp gehaltenen Teil fragt der Autor nach dem »Warum?« der im Schwarzbuch dokumentierten Verbrechen. »War Marx einer der Anstifter, der Schreibtischtäter, der geistige Urheber der Verbrechen?«

Der zweite Teil, der eigentliche Hauptteil, der nicht weniger als zwei Drittel des Buches füllt, offeriert unter der Überschrift »Die Theorie wird zur materiellen Gewalt« in großer Zahl »authentische Texte der beiden kommunistischen Klassiker« aus den Jahren 1835 bis 1883, Marx und Engels im Original also. Chronologisch geordnet, will Löw die ausgesuchten Zitate durch sich selber wirken lassen, er kommentiert sie lediglich in Fußnoten äußerst knapp. Er hat nicht nur politische Reden und theoretische Schriften von Marx und Engels herangezogen, in denen sich die wichtigsten Schlüsselbegriffe der kommunistischen Ideologie auffinden lassen. Ebenso wurden Briefe ausgewertet, die umfangreiche Korrespondenz zwischen den beiden Freunden und mit Dritten, wobei die Auswahlkriterien - bei dem Autor überrascht das nicht - an der Zielsetzung einer schonungslosen Kritik an Marx und dem Marxismus orientiert sind. Redlich angewandt, ist die Methodik, zumal jederzeit nachprüfbar, durchaus legitim, denn alle Quellen werden akribisch nachgewiesen.

Im dritten Teil formuliert Löw »Die Antwort«: Die Täter der im Schwarzbuch des Kommunismus aufgelisteten Verbrechen werden als Marxisten identifiziert. Wem das eine schreckliche Vereinfachung zu sein scheint, der muss Löws Argumentation nachlesen. Erst so kann er sich eine Meinung bilden.

Im vierten Kapitel schließlich handelt der Autor anhand zeithistorischer Zeugnisse ab, wie Zeitgenossen Marx sahen - und wie er selber sich gesehen wissen wollte. Sympathisch ist das Bild, das so von Marx entsteht, mitnichten. Züge von erbärmlicher Intransigenz und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, von unglaublicher Menschenverachtung, von intellektueller Arroganz, von Hass und Zynismus treten darin hervor. Natürlich ist bei der Lektüre zu bedenken, dass sich Löws Rotbuch als ideologische Streitschrift versteht. Der Autor artikuliert seine Kritik radikal, teils provozierend, teils aggressiv, um den Mythos Marx zu zerstören. Lust an der Polemik, Hang zum Eifern, Neigung zur Simplifikation - Löws Gegner, deren er sich im linken Spektrum der Gesellschaft zur Genüge gewiss sein kann, geizen nicht mit derlei Vorwürfen. Freilich formuliert er selber auch nicht gerade zimperlich. Gleichwohl ist das vorliegende Werk wissenschaftlich fundiert. Kurzum, das Rotbuch weist Konrad Löw wie alte seine Bücher1 zur nämlichen Thematik als politisch engagierten Wissenschaftler aus dem christlich-konservativen Lager aus, der sich ein akademisches Leben lang mit Marx und Engels beschäftigt hat. So genaue und umfassende Kenntnisse des Marxismus, wie er sie besitzt, finden sich sonst in der Regel nur bei gläubigen Marx-Exegeten. Am 25. Dezember vollendet der Emeritus sein 70. Lebensjahr.

1 Vgl. speziell Konrad Löw (Hrsg.): Marxismus. Quellenlexikon, Köln 1985; und ders.: Der Mythos Marx und seine Macher. Wie aus Geschichten Geschichte wird, München 1996.

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